Gastbeitrag von
Prof. Dr. Liane Buchholz, Präsidentin des Sparkassenverbandes Westfalen-Lippe
in der Börsen-Zeitung, Sonderbeilage „Wirtschaftsraum NRW“
Das Jahr 2022 hat den digitalen und nachhaltigen Wandel verlangsamt und zugleich verteuert – Sparkassenpräsidentin Prof. Dr. Liane Buchholz schlägt „Transformations-Gipfel für NRW“ vor
Fragt man die Menschen in Deutschland nach ihren Sorgen, steht wiederkehrend eine Antwort ganz oben auf der Liste: steigende Preise. Sorgen um bezahlbares Wohnen und um die wirtschaftliche Lage schließen sich an. Und das ist keine Momentaufnahme aus dem Jahr 2022. Schon zwölf Mal innerhalb einer 30 Jahre dauernden, bundesweiten Langzeitstudie haben die Deutschen die Inflation als Top-Sorge auf Platz eins gewählt.
Wie sehr der Alltag der Menschen von der Frage nach der Bezahlbarkeit des Alltäglichen bestimmt ist, mag man aus der Fülle von Ratgebern über das Sparen in den Buchhandlungen, aber auch im Netz ablesen. Ob die „100 Spartipps zum Nachmachen“ einer Finanz-Webseite oder die „Zehn Tipps, wie man beim Einkaufen Geld sparen kann“ eines öffentlich-rechtlichen Senders – an guten Ratschlägen, wie den Inflationsraten der vergangenen Monate zu begegnen ist, mangelt es nicht.
Das ist im Grunde gut so. Denn auch heute, im 22. Monat mit einer Inflationsrate jenseits aller Stabilitätsparameter, steht die Buchführung deutscher Haushalte erheblich unter Druck. Sie müssen Kostensteigerungen bei Lebensmitteln von rund 20 Prozent und bei Energie von fast 30 Prozent absorbieren. Das bindet Kraft, Zeit und Planungssicherheit.
Inflation, Energieknappheit, Krieg in Europa, Lieferkettenbrüche, der Mangel an Fachkräften – das Jahr 2022 glich einem Sammelalbum für Krisen und Hiobsbotschaften. Und machen wir uns nichts vor: 2023 wird weitergesammelt. Die Inflationsraten werden ihr Niveau vorerst halten, Energie bleibt trotz Marktentspannung teuer und der russische Präsident wird seinen Krieg gegen die Ukraine so schnell nicht beenden. All das sind Herausforderungen, die sich wie unheilvoller Nebel über eines der wichtigsten Strategie- Themen der Gegenwart gelegt haben. Gemeint ist die Transformation in eine klimaneutrale und durchgreifend digitalisierte Wirtschaft und Gesellschaft.
Zwar hat die Energiekrise 2022 das Bewusstsein für Veränderungen bei der Energiegewinnung wieder geschärft, die zeitweise Rückkehr zu fossiler und atomarer Energieerzeugung hat jedoch zugleich den Ruf nach billigem Strom und billiger Heizung lauter werden lassen. Europa und mit ihm Deutschland hat durch das Krisenjahr Zeit verloren. Gleichzeitig hat die Inflation die Kosten der Transformation befeuert.
Diese Transformation in eine klimaneutrale und durchgreifend digitalisierte Wirtschaft erfordert gigantische Summen, wie wir bereits wissen und wie eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft im Auftrag der Sparkassen- und Bankenverbände gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium für Nordrhein-Westfalen bestätigt hat: Für die Umsetzung der digitalen Transformation ergibt sich daraus ein Investitionsvolumen von bis zu 70 Mrd. € jährlich.
Die Zahlen stammen aus dem Herbst 2021. Unterstellen wir einen gleichförmigen Einfluss der durchschnittlichen Inflationsraten seit Veröffentlichung der IW-Studie, so sollten wir inzwischen von 80 Mrd. Euro Kosten ausgehen. Das lässt sich in eine klare Botschaft an das gesamte Land Nordrhein-Westfalen umformulieren: Jeder Tag, den wir nicht der Transformation widmen, kostet weiteres Geld!
Die Sparkassen in Westfalen-Lippe stehen bereit, um ihren Teil der erforderlichen Finanzierung zu stemmen. Es wird jedoch den Schulterschluss aller Beteiligten geben müssen, um Volumina in den beschriebenen Dimensionen bewegen zu können. Bei diesem Schulterschluss müssen Gesetzgeber, Bankenaufsicht, Förderbanken und Hausbanken wie ein fein abgestimmtes Räderwerk funktionieren, damit mehr Kapital für die Transformationsfinanzierung freigesetzt werden kann. Denn Hausbanken haben zwar ausreichendes Eigenkapital für ein Land im Normalmodus. Für ein Land im Transformationsmodus bedarf es jedoch eines regelrechten Kapital-Boosters. Wir brauchen Instrumente, die die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit dieses Landes entfesseln.
Das wäre mit einem Transformationsfaktor bei der Eigenmittelunterlegung von Krediten für Zwecke der Digitalisierung und Klimaneutralität möglich, wie es ihn im europäischen Regulierungsrahmen Capital Requirements Regulation (CRR) bei der Eigenkapital-Privilegierung von Infrastrukturfinanzierungen schon gibt. Ein solcher Faktor würde für Kapitalentlastungen bei der Kreditvergabe sorgen. So ließen sich Milliarden Euro an zusätzlichen Darlehen vergeben und der Strukturwandel beschleunigen.
Auch die Bankenaufsicht könnte etwas in Bewegung bringen. Mit ihrem antizyklischen Puffer und ihrem Systemrisikopuffer sorgt sie derzeit für einen Teuerungs-Effekt bei den Zinsen. Und mit ihm wird allein bei den westfälisch- lippischen Sparkassen knapp 1 Mrd. € an hartem Kernkapital eingefroren. Das entspricht einer Kredit-Kapazität von fast 10 Mrd. € – 10 Mrd. €, die für die Transformation nicht zur Verfügung stehen. Hinzu werden Zuschüsse und öffentlich geförderte Darlehn kommen müssen. Gerade angesichts der erheblichen Inflationsbelastung sind derzeit Privathaushalte am allerwenigsten in der Lage, ihre Immobilie energetisch zu optimieren oder höhere Mieten für energetische Maßnahmen des Vermieters zu tragen. Ein Teil des privaten Kapitals in Deutschland ist durch das Krisenjahr 2022 förmlich pulverisiert worden. Das ifo-Institut geht davon aus, dass die Inflation im vergangenen Jahr für einen Kaufkraftverlust von 110 Mrd. € gesorgt hat – 110 € pro Einwohner pro Monat.
Damit Zeit wieder aufgeholt wird und damit richtige Hebel gestellt werden, ist es jetzt an der Zeit für einen Transformationsgipfel in Nordrhein- Westfalen. Es wäre ein starkes Signal, wenn diese Initiative vom bevölkerungsreichsten Bundesland ausginge. Die Aufgabe dieses Gipfels: Das Bewusstsein für die Transformation erneuern, Bündnisse schaffen und die Finanzierungs-Booster ermöglichen.
Am Willen zur Transformation mangelt es nicht, wie ein beispielhafter Blick auf die Unternehmer in Westfalen-Lippe zeigt. Dazu hat der Sparkassenverband Westfalen-Lippe gemeinsam mit der Helaba eine Studie bei der Ruhr- Universität Bochum in Auftrag gegeben, die systematisch in Unternehmen unterschiedlicher Branchen Erfolgsfaktoren und Hemmnisse der Transformation finden sollte.
Die Kernergebnisse:
- Bei über 80 Prozent der Unternehmen ist das Ziel einer Transformation schon in den langfristigen Unternehmenszielen verankert.
- Schon heute orientieren sich die meisten Management-Entscheidungen an nachhaltigen oder digitalen Zielen.
- Mit Blick auf die eigene Branche verstehen viele Unternehmen den Umgang mit der Transformation als Wettbewerbsvorteil.
- Ganz konkret ermittelt die Studie, dass Unternehmen mit hohem Digitalisierungsgrad erfolgreicher mit Krisen umgehen können.
- Die Transformation erreicht die Unternehmen schon jetzt sowohl auf der Mikro-Ebene als auch auf der Makro- Ebene. Veränderungen auf der Mikro- Ebene – zum Beispiel bei der Standardisierung interner Prozesse (papierloses Büro) – können die Unternehmen in der Regel aus Eigenmitteln realisieren.
- Wenn es um die automatisierte Produktion, die Diversifikation von Energiequellen und die Überarbeitung des Geschäftsmodells geht, dann sind langfristige, großvolumige Darlehen und die Risikoteilung von Förder-, Landes- und Hausbanken notwendig.
- Die befragten Unternehmer sehen in ihrer Hausbank den ersten Partner für die Transformation.
Das allein lässt erahnen, welchen Schub die Transformation in den nächsten Jahren bekommen wird. Dafür aber müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Bei Privathaushalten sind sie derzeit in Schieflage. Bei Unternehmen wird es darauf ankommen, dass die erforderlichen Finanzierungen bereitgestellt werden können. Dafür braucht es den genannten Kapital-Booster. Wie er ausgelöst werden könnte, beschreibt dieser Text. Im Rahmen des Bankentags NRW am 28. März 2023 in der NRW- Bank in Düsseldorf werden wir vertieft diskutieren, wie der Rahmen für die Transformation in Nordrhein-Westfalen außerdem ausgestaltet werden könnte.
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