Der Medienkonzern FUNKE hat gerade den Deutschen Nachhaltigkeitspreis gewonnen. An welchen Stellschrauben dreht das Unternehmen in Sachen ESG? Und wie finanziert es seine Transformation? Fragen an Head of Sustainability Gundula Ullah.

Frau Ullah, FUNKE steht für Tageszeitungen wie die WAZ und Zeitschriften wie HÖRZU. Können Printprodukte – die ja Wegwerf-Artikel sind – eigentlich nachhaltig sein?
Gundula Ullah: Also zunächst einmal ist ja der Sinn unserer Produkte sehr nachhaltig im sozialen Sinn: Wir bringen Informationen zu den Bürgerinnen und Bürgern. Ob wir das auf Papier oder auf dem Handy tun, ist unerheblich. Wobei Printprodukte in Sachen ökologischer Nachhaltigkeit besser sind als ihr Ruf: Wir drucken unsere Tageszeitungen auf Recyclingpapier, das sich bis zu siebenmal recyceln lässt. Vergleicht man die Emissionen einer gedruckten Zeitung mit der Nutzung von E-Papern auf dem iPad, schlägt die CO2-Bilanz nicht immer fürs iPad aus.
FUNKE produziert 50 Magazine, 12 Tageszeitungen und rund 200 Online-Portale. In welchem Bereich ist der Bedarf nachhaltiger zu werden am größten?
Wir beschränken unsere Aktivitäten nicht auf eine Sparte oder ein Produkt. Wir arbeiten daran, den ökologischen Fußabdruck für alle unsere Medienkanäle zu reduzieren. Das ist natürlich bei Print viel einfacher: Da gibt es die Stellschrauben Papier, Druck und Logistik. Bei Online sind die Wertschöpfungsketten komplexer: die Ausspielung von Anzeigen über eine Website, das Bidding-Verfahren für Online-Werbeplätze, die Herstellung und der Verbrauch der Endgeräte und vieles mehr. Hier zu durchdringen, wo überall Emissionen entstehen, ist herausfordernder als bei den gedruckten Produkten.
Seit wann spielt das Thema nachhaltige Transformation im Unternehmen eine Rolle?
Das Thema war nie unwichtig. Viele Bereiche bei FUNKE haben sich aus intrinsischer Motivation schon länger damit beschäftigt. Der offizielle Startschuss für den Bereich Corporate Sustainability fiel 2021, da hatte sich etwa der Druckbereich längst für ISO 14001 zertifizieren lassen. Auch die Logistik hatte ihre Routen schon optimiert. Es war immer schon auf die eine oder andere Weise in der Organisation verankert. Als die Gesellschafter dann gesagt haben, dass ihnen das Thema ESG sehr wichtig ist, kam so richtig Fahrt auf.
Bei den meisten Unternehmen steht das „E“ von ESG – also der ökologische Aspekt – im Vordergrund. Wie ist das bei FUNKE?
Bei „E“ wollen wir den Umweltfußabdruck in unseren Wertschöpfungsketten und in unseren Medienhäusern reduzieren. Außerdem arbeiten wir mit unseren Lieferanten an der Reduktion von Emissionen.
Und was steht bei „S“ und „G“ im Fokus?
Um die „S“-Dimension voranzutreiben, haben wir 2024 den Bereich Cultural Affairs gegründet. Dabei kümmern wir uns um Diversity und Inklusion und zum Beispiel um Fragen wie: Wie gehen wir mit Pflege um? Wie unterstützen wir Mitarbeitende mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen? Bei Governance geht es darum, compliant bei allen Berichtspflichten und Regelungen zu sein. Das hat für einen Konzern wie uns – mit einer Milliarde Euro Umsatz – eine sehr hohe wirtschaftliche Relevanz.
Ein Großteil Ihrer Emissionen entsteht in der Lieferkette. Wie gehen Sie hier Ihre Reduktionsziele an?
Über 90 Prozent unserer Emissionen entstehen in der Wertschöpfungskette. Deshalb sind wir mit unseren Zulieferern in ständigem Austausch über die relevanten Themen. Es sind ja nicht nur die Emissionen. Es geht auch um mineralölfreie Druckfarben, Arbeitssicherheit oder Arbeitsschutz.
Stichwort mineralölfreie Druckfarben: Wie kontrollieren Sie das?
Indem wir die Datenblätter der Hersteller prüfen. Die Herausforderung besteht weniger in der Kontrolle als im Preis: Mineralölfreie Druckfarbe kostet rund 30 Prozent mehr als konventionelle. Wir halten uns an eine Selbstverpflichtung der Verlage, eine gewisse Quote unserer Produkte damit zu drucken.
Wie finanzieren Sie solche Investitionen in die Nachhaltigkeit?
Wir haben das Glück, dass die Konzerngeschäftsführung jedes Jahr ein Klimabudget festlegt. Das kann für Maßnahmen in verschiedenen Bereichen eingesetzt werden. Zum Beispiel dafür, den höheren Papierpreis zu kompensieren, der aus der Einspeisung von Ökostrom in den Papierherstellungsprozess resultiert.
Warum ist Ökostrom teurer? Bei vielen Anbietern ist er doch bereits günstiger als „normaler“ Strom?
Die Papierhersteller kaufen Terrawatt an Strom ein, oft auf Jahre im Voraus – das sogenannte „Hedging“. Soll dann kurzfristig grüner Strom zugekauft werden, erfolgt dies am Spotmarkt, wo der Strom zum Tagespreis und damit wesentlich teurer gehandelt wird.

Welches nachhaltige Geschäftsmodell strebt FUNKE an und bis wann wollen Sie welche Schritte gegangen sein?
Nach CSRD müssen wir bis 2045 einen klaren Emissions-Reduktions-Pfad aufweisen. Den haben wir kalkuliert und aufgeteilt nach Sektoren. Daraus haben wir zum Beispiel abgeleitet, ab wann wir unsere Dienstwagen-Flotte auf E-Antrieb umstellen müssen. Für unsere Medienhäuser haben wir das Ziel definiert, bis 2035 die Emissionen um 90 Prozent zu reduzieren. Und in den Wertschöpfungsketten wollen wir vom Baum bis zum Briefkasten klimaneutral werden.
Während Sie in Scope 1 (den direkten Emissionen) und Scope 2 (Emissionen etwa von Energieverbräuchen) als Unternehmen selbst etwas ändern können, sind Sie bei Scope 3 (indirekte Emissionen etwa aus nachgelagerten Lieferketten) abhängig von Lieferanten. Wie gehen Sie damit um?
Wenn mir die Papierhersteller sagen, dass sie erst bis 2045 klimaneutral sein wollen, kriegen wir das als Verlag bis 2035 natürlich nicht hin. Daher haben wir uns bei den Wertschöpfungsketten kein Zeitziel gesetzt, sondern unterstützen hier mit aktiven Maßnahmen. Zum Beispiel fordern wir die Papier- und Druckhersteller auf, Ökostrom für die uns betreffenden Herstellungsprozesse zu nutzen.
Gab es da schon mal Widerstand in der Lieferkette – und wie gehen Sie dann damit um?
Da muss man kontinuierlich in der Kommunikation bleiben und erklären, dass Nachhaltigkeit kein Nice-to-have ist, sondern ein wirtschaftliches Muss. Unsere Anzeigenkunden und Mediaagenturen fordern die Einhaltung von ESG-Scores von uns ein. Aber eine Transformation funktioniert aus meiner Sicht nur im konstruktiven Miteinander. Wir sehen das als Gemeinschaftsprojekt, das wir mit unseren Zulieferern zusammen angehen.
Was ist mit der Zustellung der Printprodukte? Haben Sie hier umgerüstet auf E-Fahrzeuge – oder werden diese Emissionen an Dienstleister wie die Post ausgelagert?
In der Zustellung der Tageszeitungen setzen wir in einigen Zustellgebieten bereits auf E-Fahrzeuge oder E-Bikes. Die große Mehrheit unserer Zusteller ist allerdings noch in Verbrenner-Fahrzeugen unterwegs. Der limitierende Faktor für eine großflächigere Ausrollung ist hier unter anderem die noch nicht ausreichend ausgebaute Ladeinfrastruktur und die Reichweite der Elektrofahrzeuge unter Volllast. Für unseren Zeitschriften-Bereich nehmen wir für die Zustellung am „Go Green Plus“ Programm der Deutschen Post teil.
Wie viele Medienhäuser hat FUNKE – und wie reduzieren Sie dort den CO2-Fußabdruck?
Insgesamt haben wir sechs Medienhäuser und viele Leserläden, über die Republik verteilt insgesamt rund 220 Standorte. Da ist wichtig, dass man mit den Kolleginnen und Kollegen aus den Fachbereichen im Austausch bleibt und Maßnahmen definiert. Erreicht haben wir schon, dass wir überall auf Ökostrom umgestellt haben. Manche Standorte gehen hier auch voran und fordern selbst Dinge ein, etwa Ladepunkte für E-Bikes oder E-Autos.
Das Heizen der Standorte ist ein weiterer Punkt – was haben Sie hier umgestellt?
Hauptenergieträger für unsere Standorte sind Gas beziehungsweise Fernwärme. Da wir – bis auf einige Ausnahmen – unsere Standorte anmieten, ist eine Umstellung der Energieträger für die Beheizung nur mit hohen Investitionen möglich. Ein Hebel ist jedoch der Verbrauch an sich, und hier haben wir aus den Maßnahmen der Energiekrise gelernt und zum Beispiel Raumtemperaturen angepasst und so Verbräuche reduziert.
Spielt Nachhaltigkeit in der Vergabe eine Rolle?
Nachhaltigkeit ist ein Evaluierungsfaktor in der Vergabe. Wir haben für den Einkauf ein „Cost of Sustainability“-Sheet entwickelt, in dem Nachhaltigkeitskriterien abgefragt werden. Sagt der Lieferant zu allem „Ja“, erreicht er hundert Prozent, ansonsten bekommt er einen Malus. Dadurch bekommt der Fachbereich in seiner Investitionsentscheidung ein Kriterium neben dem Preis an die Hand.
Wie läuft es andersherum: Wenn FUNKE für Investitionen Darlehen von einer Bank bekommt – werden da Nachhaltigkeitskriterien nachgefragt?
FUNKE hat momentan nur einen großen Kredit laufen. Wir haben die Finanzierung dabei erstmals mit einer ESG-Komponente verknüpft und können damit unsere ambitionierten Nachhaltigkeitsziele auch im Finanzierungsvertrag verankern.

FUNKE war das erste überregionale Medienhaus, das schon 2024 einen Nachhaltigkeitsbericht in Anlehnung an CSRD veröffentlicht hat. Eine Verpflichtung dazu haben Sie erst 2026 – und nach dem Omnibus-Prozess wohl erst 2028 - warum haben Sie das gemacht?
Ganz einfach: um zu üben. Die CSRD ist so komplex und die Anforderungen sind so hoch, dass so ein Bericht nicht von heute auf morgen erstellt werden kann. Allein für die doppelte Wesentlichkeitsanalyse haben wir ein halbes Jahr gebraucht. Es war auch schwierig herauszufinden, woher wir die geforderten Daten konkret bekommen. Deswegen haben wir etwas früher angefangen und den ersten Bericht – quasi zur Übung – in Anlehnung gemacht.
Würden Sie sagen, die Datenerfassung hat Sie bei der Transformation vorangebracht? Oder war es vor allem eine bürokratische Last?
Durch die Datenerfassung lernt man immer etwas – zum Beispiel, wo es noch Lücken hat. Deshalb finde ich es grundsätzlich sehr gut, Transparenz zu schaffen. Unternehmen müssen sich ehrlich machen – auch in der Lieferkette, also in Scope 3. Aber die bürokratischen Übungen, die die CSRD den Unternehmen aufbürdet – und ich habe noch nicht von der EU-Entwaldungsverordnung EUDR geredet –, sind oft auch arg übertrieben. Mein Team ist einen Großteil der Zeit damit beschäftigt, Reportings zu erfüllen. Dabei sollten wir doch eigentlich daran arbeiten, nachhaltiger zu werden.
Das ist Ihnen ja auch gelungen: Laut dem letzten Nachhaltigkeitsbericht konnte FUNKE seine CO2-Emissionen 2023 um fast 48.000 Tonnen reduzieren – also um rund 23 Prozent gegenüber 2022. Wie haben Sie das geschafft?
Zum einen durch eine verbesserte Datenqualität: Wir haben am Anfang viel auf Standard-Emissionswerte zurückgegriffen. Inzwischen ist uns klar, dass die Emissionswerte je nach Papierwerk und Papierrolle komplett unterschiedlich sein können, abhängig vom Energiemix des Papierwerks und dem Herstellungsverfahren (Recycling oder Frischfaser) – Standardwerte helfen hier nicht weiter. Und wir haben einige aktive Maßnahmen unternommen, um Emissionen zu senken.
Manchmal ist das Problem, dass Lieferanten nicht über die benötigten Daten verfügen: Wie konnten die Papierwerke die Daten erfassen und liefern?
Insgesamt ging das relativ schnell, zirka drei bis vier Monate nach Anforderung, da die Papierhersteller die CEPI-Werte sowieso berichten müssen und dies in Zertifikaten festhalten. Diese anzufragen und zu validieren hat ein wenig Aufwand bedeutet, ließ sich aber gut umsetzen.
Sie sprechen von aktiven Maßnahmen zur Emissionsreduktion: Welche konkret?
Beispielsweise haben wir auf Ökostrom umgestellt in unseren eigenen Druckereien und in unseren Medienhäusern. Und wir haben Papierlieferanten, die einen besonders guten CO2-Fußabdruck haben, mehr Tonnage zugeteilt.
Wo sehen Sie beim Thema nachhaltige Transformation die größten Chancen für FUNKE?
Eine Chance besteht darin, sich bei den Anzeigenvolumina durch Nachhaltigkeit von anderen Medienhäusern abzusetzen. Ich sehe auch eine Chance, Nachhaltigkeit als Geschäftsmodell zu etablieren. Deshalb haben wir die FUNKE for Future Academy gegründet, in der wir unser Wissen zum Thema ESG an andere Unternehmen - und hier speziell den KMU - weitergeben. Die durchgängig positive Resonanz unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer kurz nach dem Start bestärkt uns darin, dass wir mit diesem Angebot – aus der Praxis für die Praxis – genau auf dem richtigen Weg sind.
Und wo gibt es die größten Risiken?
Darin, dass sich Nachhaltigkeitsabteilungen durch das ausufernde „Reporting-Game“ in Ober-Controlling-Orte verwandeln. Und dass dadurch weniger Impact entsteht. Ein anderes Risiko ist, dass eine neue EU-Gesetzgebung das Kind mit dem Bade ausschüttet, wenn die Ziele zu stark gesenkt werden. Was machen denn dann Unternehmen wie wir, die viel investiert haben und gut auf dem Weg sind? Wir haben Lizenzen für zwei ESG-Softwares gekauft, Mitarbeiter aufgebaut und viele Investitionen getätigt. Jetzt alles bis 2030 zu verschieben – das geht doch nicht.
Zum Unternehmen
Die FUNKE Mediengruppe mit Hauptsitz in Essen ist eines der größten Medienhäuser in Deutschland. Seiner Vision „Journalismus für eine offene und informierte Gesellschaft“ folgend, produziert das Unternehmen Tageszeitungen, Zeitschriften und Online-Portale. Der Bereich Corporate Sustainability wurde im Oktober 2021 gegründet, heute arbeiten neben Bereichsleiterin Gundula Ullah drei Mitarbeiterinnen in der Abteilung. FUNKE hat sich klare Ziele in allen ESG-Dimensionen gesetzt: Zum Beispiel sollen die Medienhäuser bis 2035 CO2-neutral sein. Für das Engagement gab es zuletzt Preise, etwa den Deutschen Nachhaltigkeitspreis als Vorreiterin der Nachhaltigkeitstransformation in der Branche „Medienwirtschaft“ und eine Auszeichnung vom World Printers Summit 2024 in der Kategorie „Going Green“.