1. Treibhausgasemissionen in NRW
Der Treibhausgasausstoß bestehend aus Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4), und weiteren Treibhausgasen verteilt sich auf verschiedene Sektoren. In Deutschland entfallen dabei 36,3 Prozent der emittierten Kohlendioxid-Äquivalente (CO2-Äq.) auf die Energieerzeugung, 21,4 Prozent auf das Transportgewerbe, 18,3 Prozent auf den Gebäudesektor, sowie 13,9 Prozent auf andere industrielle Verbrennungen (EDGAR, 2023). Auch wenn die CO2-Emissionen seit 1990 im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (CO2-Intensität) global um 15 Prozent gestiegen sind, so sind sie in Deutschland um 56 Prozent gefallen (EDGAR, 2023). Bis zur Erreichung der Klimaschutzziele sind aber noch weitere Reduktionen erforderlich, welche immense Investitionen in Klimaschutz in den Sektoren Industrie, Verkehr, Energie und Gebäude erfordern.
Von den industriellen CO2-Emissionen in Deutschland entfallen nach Angaben der Deutschen Emissionshandelsstelle 29,5 Prozent auf den Bereich Eisen- und Stahlherstellung (DEHSt, 2023). Weitere 20,9 Prozent der Emissionen stammen aus Raffinerien. Die Herstellung von Zementklinkern hat einen Anteil von 16,7 Prozent und die Chemische Industrie einen Anteil von 12,8 Prozent. Für Industrieregionen wie Nordrhein-Westfalen (NRW) bedeutet dies, dass eine erfolgreiche Dekarbonisierung ganz wesentlich von der Transformation dieser Branchen abhängt, was erhebliche Investitionen von den Unternehmen abverlangt.
Die CO2-Emissionen in Deutschland sind in allen Sektoren in den letzten Jahrzehnten spürbar gesunken (UBA, 2024). Dabei waren die Sektoren unterschiedlich schnell. Die Energiewirtschaft hat ihren CO2-Ausstoß durch den Einsatz von Effizienzmaßnahmen und Erneuerbaren Energien von 475 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente im Jahr 1990 auf 205 Millionen Tonnen im Jahr 2023 verringern können (-57 %). Im Vergleich dazu hat die Industrie ihre Emissionen von 278 auf 155 Millionen Tonnen reduziert (-44 %), während der Verkehrssektor seinen CO2-Ausstoß nur von 163 auf 146 Millionen Tonnen senken konnte (-11 %). Im Gebäudesektor konnten die CO2-Emission ebenfalls vergleichsweise stark um 51 Prozent, von 210 auf 102 Millionen Tonnen, gesenkt werden. In der Landwirtschaft fielen die CO2-Emissionen von 83 auf 66 Millionen Tonnen (28 5%). Der Gebäude- und der Verkehrssektor überschreiten dabei mit gut 1 Millionen Tonnen bzw. knapp 13 Millionen Tonnen gemäß des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG) die im Jahr 2023 erlaubte Jahresemissionsmenge.
Im Vergleich der Bundesländer liegt NRW bei der Entstehung energiebedingter CO2-Emissionen pro Einwohner auf Platz 4 der größten Emittenten im Bundesgebiet. Während die Emissionen im Jahr 2020 im Saarland bei 21,8 Tonnen pro Jahr und pro Einwohner lagen, lagen sie in NRW bei 11,7 Tonnen. Auf Platz zwei und drei liegen Brandenburg und Bremen mit 19,4 und 13,6 Tonnen pro Einwohner. Im Vergleich dazu weisen Baden-Württemberg, Hessen, Thüringen und Berlin die niedrigsten Werte auf (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2024,). Bei den Anteilen der Bundesländer an den gesamten CO2-Emissionen der Bundesrepublik Deutschland ergibt sich das folgende Bild: 30 Prozent der CO2-Emissionen im Bundesgebiet sind NRW zuzurechnen, während 20,6 Prozent des BIP der Bundesrepublik auf NRW entfallen (Abbildung 1). Um den erforderlichen Investitionsbedarf für die Dekarbonisierung in NRW zu berechnen, ist es wichtig, die Unterschiede in den Berechnungen zu berücksichtigen, die meist auf globaler oder Länderebene basieren. Aus der Gewichtung über die anteiligen CO2-Emissionen ergibt sich, dass NRW im Vergleich zur Wirtschaftsleistung deutlich mehr in Klimaneutralität investieren muss.
2. Investitionsbedarfe in Klimaneutralität
Um bis 2045 klimaneutral zu werden, müssen alle Sektoren im großen Stil investieren. Wie hoch dieser Bedarf ist, wurde in den letzten Jahren in unterschiedlichen Studien abgeschätzt. Die Berechnungen der verschiedenen Studien für die benötigten Investitionssummen nutzen unterschiedliche Methodiken und betrachten unterschiedlich lange Transformationspfade sowie verschiedene Sektoren. Im Folgenden werden die Studien kurz dargestellt und dargelegt, welche Investitionsvolumina für NRW für den Transformationszeitraum 2023 bis 2045 abgeleitet werden können (Tabelle 1):
- Die Studie von McKinsey aus dem Jahr 2021 kommt für Deutschland auf ein jährlich benötigtes Investitionsvolumen von 200 Mrd. Euro allein für Ersatz- und einem Volumen von 40 Mrd. Euro an zusätzlichen Investitionen. Bei den Zusatzinvestitionen handelt es sich um Ausgaben für die Anschaffung von Maschinen, Fahrzeugen oder Anlagen im Vergleich zu deren CO2-intensiven bisherigen Versionen, sowie um zusätzliche Investitionen in Infrastruktur, die für diese neuen Technologien benötigt wird. Kumuliert für Deutschland entspräche dieser Investitionsbedarf hochgerechnet rund 5 Billionen Euro an Ersatzinvestitionen und etwa einer Billion Euro an Zusatzinvestitionen bis zum Jahr 2045. Die Investitionen in dieser Studie umfassen Investitionen in Infrastruktur, Anlagen und Gebäude (McKinsey & Company, 2021). Der NRW-Anteil an diesen Investitionen läge bei 75 Mrd. Euro pro Jahr, wenn man das Investitionsvolumen anhand der Anteile der Bundesländer an den Gesamtemissionen Deutschlands berechnen würde.
- Eine Studie der Allianz Trade aus dem Jahr 2023 berechnet auf globaler Ebene kumulierte Investitionen von 2,7 Billionen Euro, damit das Verarbeitende Gewerbe bis zum Jahr 2050 über 90 Prozent der CO2-Emissionen vermeiden kann. Dies sind vor allem Investitionen in Energieeffizienz durch Wasserstoff, Biomasse und die Erzeugung von Wärme durch elektrische Energie. Zur Erreichung der Klimaneutralität sind aber laut Studie noch zusätzliche 3,1 Billionen Euro in das Einfangen und Lagern von CO2 notwendig, da nicht alle industriellen Emissionen vermieden werden können. Pro Jahr beläuft sich der Investitionsbedarf demnach insgesamt auf 5,5 Bio. Euro bzw. rund 200 Mrd. Euro pro Jahr. Der NRW-Anteil skaliert auf den Transformationspfad bis 2045 und hochgerechnet auf alle Sektoren läge dann bei etwa 90 Mrd. Euro pro Jahr (Allianz Trade, 2023).
- Das Prognos Institut, Nextra Consulting und das Institut für nachhaltige Kapitalanlagen haben im Jahr 2021 im Auftrag der KfW-Bankengruppe eine Studie erstellt, die einen Investitionsbedarf zur Klimaneutralität für Deutschland von 5 Billionen Euro bis zum Jahr 2045 prognostiziert. Davon entfallen 3,8 Billionen Euro auf Investitionen, die bereits geplant sind. Dazu kommen noch Investitionen in Höhe von 1,1 Billionen Euro zur Erreichung der Klimaneutralität. Die 3,8 Billionen Euro teilen sich auf in Investitionen von 2,1 Billionen Euro in den Verkehr, 840 Milliarden Euro in Energie, 620 Milliarden Euro in die Industrie und 237 Milliarden Euro in Gewerbe, Handel und Dienstleistungen. Hinzu kommen die Mehrinvestitionen in Höhe von 153 Mrd. Euro im Bereich Verkehr, 397 Mrd. Euro für den Energiesektor, 462 Mrd. Euro in der Industrie und 113 Mrd. Euro in Gewerbe, Handel und Dienstleistungen (Nextra Consulting et al., 2021). Für NRW können anteilige Investitionen in Höhe von 71 Mrd. Euro pro Jahr ermittelt werden.
- Die älteren Studien der Global Commission on the Economy and Climate (GCEC), der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und des World Economic Forums (WEF) berechnen die benötigten Investitionen in Klimaneutralität bis zum Jahr 2030 (GCEC, 2016; OECD, 2027; WEF, 2013). Aufgrund der seitdem gestiegenen Rohstoffpreise werden die Investitionsausgaben aber höher ausfallen als von diesen Studien veranschlagt. Fortgeschrieben mit dem Eurex Dow Jones-UBS Industrial Index und heruntergebrochen auf NRW ergeben die Zahlen von GCEC einen Investitionsbedarf von 74, die Zahlen der OECD einen Investitionsbedarf von 75 und die Zahlen des WEF einen jährlichen Investitionsbedarf von 89 Mrd. Euro pro Jahr.
- Die Klimapfade-Studie des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) und der Boston Consulting Group (BCG) ermittelt Mehrinvestitionen von 860 Mrd. Euro bis zum Etappenziel im Jahr 2030. Davon entfallen Mehrinvestitionen in Höhe von 50 Mrd. Euro auf die Industrie, 220 Mrd. Euro an den Verkehrssektor, 175 Mrd. Euro an den Gebäudesektor und 415 Mrd. Euro an den Energiesektor (BDI/BCG, 2021). Schreibt man diesen Investitionsbedarf bis zum Jahr 2045 fort und ergänzt diesen um eine Berechnung der Ersatzinvestitionen, so entfielen auf NRW Investitionen in Höhe von 91 Mrd. Euro pro Jahr (BDI/BCG, 2021).
- Die Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) berechnet, dass deutschlandweit Neuinvestitionen in Höhe von 1,9 Billionen Euro für den Unternehmenssektor und den Haushaltssektor bis zum Jahr 2030 zusammen anfallen (Schnaars et al, 2023). Dies entspräche fortgeschrieben bis zum Jahr 2045 und für NRW Investitionen in Höhe von 81 Mrd. Euro pro Jahr, die von Unternehmen und Haushalten getätigt werden müssten.
- Wie Tabelle 1 zeigt, ergibt sich im Durchschnitt über die Studien für NRW ein Investitionsbedarf zur Erreichung der Klimaneutralität in Höhe von rund 80 Mrd. Euro pro Jahr für die Jahre 2024 bis 2045. Basierend auf den oben zitierenten Emissionsanteilen der EDGAR-Datenbank der Europäischen Kommission ließen sich die Investitionen in 19 Mrd. Euro pro Jahr für Industrieanlagen, 17 Mrd. Euro für den Verkehrssektor, 15 Mrd. Euro für Gebäude und 29 Mrd. Euro für den Energiesektor herunterbrechen.
3. Investitionsbedarfe in Digitalisierung
Studien zur Abschätzung der Investitionsbedarfe in die Digitalisierung sind im Vergleich zur Klimaneutralität deutlich seltener. Während für die Klimaneutralität ein globales Ziel besteht, das zu einem bestimmten Datum erreicht werden muss, sind Investitionen der Unternehmen in die Digitalisierung vor allem durch den Markt getrieben. Zwar möchte die Politik auch die Digitalisierung vorantreiben, so setzt sich die EU hier ebenfalls Ziele. Doch werden diese nicht durch Regulierung forciert. Studien, die den Investitionsbedarf in Digitalisierung berechnen, gehen anders als die Studien zur Erreichung der Klimaneutralität nicht von einem Transformationspfad aus, sondern schreiben bestehende Investitionen in Digitalisierung fort.
Die International Data Corporation (IDC) prognostiziert regelmäßig die Investitionen in digitale Technologien und Dienstleistungen global. Für die Jahre 2024 bis 2026 erwarten die Experten von IDC Investitionen im Wert von 2,7 Billionen Euro weltweit (IDC, 2023). Für Deutschland ergäben sich anteilig an der Größe der Volkswirtschaft gemessen am Bruttoinlandsprodukt Investitionen in Höhe von 110 Mrd. Euro pro Jahr. Dies entspräche jährlichen Investitionen in Höhe von 23 Mrd. Euro in die Digitalisierung in NRW (bezogen auf den Anteil an der Wirtschaftsleistung). Bezogen auf die schnellen technologischen Trends im Bereich der Digitalisierung kann weniger von einem Nachholen der Unternehmen gesprochen werden. Vielmehr muss von einer kontinuierlichen Anpassung der Unternehmen an Weiterentwicklungen im Bereich der Digitalisierung ausgegangen werden. Aus diesem Grund wird angenommen, dass der Investitionsbedarf in Digitalisierung auch bis zum Jahr 2045 fortgeschrieben werden kann.
4. Herausforderungen für die Transformationsfinanzierung
Allein für die klimaneutrale und digitale Transformation müssten in NRW basierend auf diesen Berechnungen jährlich über 100 Mrd. Euro investiert werden. Vor dem Hintergrund, dass erfahrungsgemäß Unternehmen nicht alle Investitionen mit eigenen Mitteln finanzieren können, sondern auch auf Bankkredite zur Finanzierung zurückgreifen, müssten die Banken ihre regulatorischen Risikoaktiva entlang des Transformationspfades erhöhen. Die aktuelle Kreditfinanzierungsquote der Industrieunternehmen liegt bei 7 Prozent, in der Energiewirtschaft und dem Gebäudesektor liegen sie jeweils bei 19 Prozent (Deutsche Bundesbank, 2024). Im Gebäudesektor wird durchaus auch mit einer Fremdfinanzierungsquote finanziert (2020). Hieraus lässt sich der Anstieg der Risikoaktiva der Banken entlang des Transformationspfades abschätzen. Die Sektoren dürften damit jährlich ca. 25 Mrd. Euro an Krediten zur Finanzierung dieser Investitionen nachfragen, sofern sie ihren Verschuldungsgrad nicht erhöhen. Doch auch bei gegebener Verschuldungsquote dürfte dieser hohe Betrag darauf hindeuten, dass Finanzierungslücken drohen könnten, insbesondere für kleine Unternehmen, die aufgrund von fehlendem Kapitalmarktzugang nicht wie Großunternehmen „Green Bonds“ zur Finanzierung ihrer Investitionen in Klimaneutralität nutzen können. Eine spürbare Kreditausweitung für Banken ist daher erforderlich, welche aber herausfordernd ist, da diese aus regulatorischen Gründen ihre Kreditausweitung mit zusätzlichem Eigenkapital unterlegen müssen. Die Frage, ob mögliche Finanzierungsengpässe auftreten, hängt daher entscheidend davon ab, wie gut es den Banken gelingt, ihr Eigenkapital zu erhöhen oder bereits gebundenes Eigenkapital auf anderem Wege, z.B. über die Kreditverbriefung, freizusetzen (Demary/Taft, 2023).